WordPress

WordPress Gutenberg: Pro und Contra


Veröffentlicht am 04.05.2022 von Thordis Bonfranchi-Simović und Vladimir Simović

Gutenberg ist den meisten von uns wohl als Erfinder des modernen Buchdrucks bekannt. Die Druckerpresse von Gutenberg hat eine Revolution in der Medienwelt und weitgehende Umwälzungen in der Gesellschaft angestoßen. Eine ähnlich starke Wirkung erhofften sich die Planer auch für die WordPress-Welt, und deswegen wurde das Projekt auf den Namen Gutenberg getauft.

Einführung

Als der Gutenberg-Editor mit der WordPress-Version 5.0 Anfang Dezember 2018 eingeführt wurde, war die Aufregung sehr groß. Die Debatten zum Für und Wider wurden hitzig geführt und werden es immer noch. Zeit also, sich noch einmal in Erinnerung zu rufen, warum WordPress nicht mehr den alten TinyMCE nutzt, sondern nun auf den Gutenberg-Editor setzt.

 

Der alte TinyMCE-Editor...

 

 

… und der neue Gutenberg-Editor.

 

Auf den ersten Blick erscheint der Gutenberg-Editor im Gegensatz zum TinyMCE recht spartanisch, aber das Gegenteil ist der Fall. Hinter dem Gutenberg-Editor, der nur den ersten Schritt einer Entwicklung darstellt, steckt die Absicht, WordPress zu einem Page-Builder-System “umzubauen”. Um auch in Zukunft das führende CMS zu bleiben, war es für WordPress an der Zeit, sich neu zu erfinden, zumindest empfand dies Matt Mullenweg so.

Auf dem Theme-Markt waren und sind sehr häufig solche Themes kommerziell erfolgreich, die sogenannte Page-Builder mitliefern. Diese Themes versprechen ihren Nutzer*innen nicht nur, dass sie das grundsätzliche Design einer Website anpassen können, also so Dinge wie Farben, Schriftarten, grundsätzliche Struktur (Sidebar links oder rechts, wie viele Spalten hat der Footer, Menüposition etc.), sondern auch, dass bei jedem Beitrag und bei jeder Seite jedes Element – also auch jeder Absatz – individuell gestaltet werden kann, ohne im Code einzugreifen und ohne CSS-Kenntnisse vorauszusetzen.

Die WordPress-Entwickler*innen haben sich schon immer die Demokratisierung des Publizierens auf die Fahne geschrieben, und mit dem Wechsel des Editors wolle man diese Demokratisierung weiter fördern. Auch technisch wenig affine Nutzer*innen sollen mithilfe von Page-Buildern in der Lage sein, mit “wenigen” Klicks eine ansprechende und funktionierende Website zu erstellen.

Diese neuen Möglichkeiten freuen einige, andere sehen darin aber auch eine Gefahr, und ob es dadurch wirklich einfacher ist, eine Website zu erstellen, bleibt dahingestellt. Neben der Möglichkeit, sich kreativ auszutoben, besteht nämlich durchaus auch die Gefahr, sich seine Website “kaputt zu spielen”. 

Oft genug kommt es vor, dass Website-Betreiber*innen am Ende der kreativen Phase erschrocken feststellen, dass das Aussehen ihrer Website nun nichts mehr mit “Design” zu tun hat. Dazu kommen nicht selten technische Probleme, die oft nur durch das komplette Neugestalten einer Website behoben werden können. Auch nach erfolgreicher Erstellung und Gestaltung einer Website bleiben Page-Builder problemanfällig. Eines der größten Probleme ist dabei der Theme-Wechsel. 

Werden theme-eigene Elemente verwendet, die bei allen Page-Buildern im Code immer durch sogenannte Shortcodes eingefügt werden, werden diese von anderen Themes nicht erkannt und können nicht dargestellt werden. Die Shortcodes werden dann im Frontend sichtbar und müssen händisch entfernt bzw. umgewandelt werden.

Es war also nicht verwunderlich, dass sehr viele Theme-Entwickler*innen den Gutenberg-Editor nicht überschwänglich begrüßt haben und der Übergang doch recht holprig war. Auch Plugin-Entwickler*innen waren nicht unbedingt begeistert. Viele Plugins sind mit ihren Funktionen Teil des Editors oder auf der Bearbeiten-Seite zusammen mit dem Editor integriert. All diese Plugins mussten umgestellt werden, um auch mit Gutenberg zu funktionieren. Noch heute werden allerdings Plugins von Benutzer*innen eingesetzt, die mit dem Gutenberg-Editor nicht kompatibel sind. 

Gutenberg ausblenden

So war es nicht verwunderlich, dass zeitgleich mit Gutenberg das Plugin Classic Editor erschien. Dies ist ein offizielles Plugin, das vom WordPress-Team gepflegt wird und den früheren WordPress-Editor TinyMCE sowie die "Beitrag bearbeiten"-Oberfläche wiederherstellt. Es ermöglicht somit die Nutzung von Plugins, die diese Oberfläche erweitern oder auf andere Weise vom vorherigen Editor abhängen.

Der Classic Editor wird laut der Entwickler*innen bis mindestens 2022, oder so lange wie nötig, voll unterstützt und gewartet. Mittlerweile gibt es eine Reihe von Plugins, die man unter dem Stichwort disable Gutenberg im Plugin-Verzeichnis findet. Wer damals ganz auf den Gutenberg Editor verzichten wollte, konnte sogar komplett aus WordPress “aussteigen” und zu ClassicPress wechseln.

ClassicPress

Bei ClassicPress handelt es sich um ein CMS, das sich ausgehend von der WordPress-Version 4.9 entwickelt hat. Der alte TinyMCE Editor wird beibehalten. Die Entwickler*innen setzen dabei auf die folgenden Features: “Mächtig. Vielseitig. Vorhersehbar.” Damit werden genau die Punkte angesprochen, die viele WordPress-Nutzer*innen beim Wechsel des Editors beklagt haben. Zum einen fiel dadurch eine gewisse Vielseitigkeit weg, da viele Plugins, die die Editor-Oberfläche beeinflusst haben, nun nicht mehr nutzbar waren, zum anderen fühlten sich viele Nutzer*innen, aber auch nicht wenige Entwickler*innen übergangen, und es wurde die Vorhersehbarkeit in der Entwicklung beklagt, da die überwiegende Mehrheit der WordPress-Community diese Entwicklung nicht hatte kommen sehen.

Gutenberg im Detail

Was genau hat Gutenberg nun gebracht? Das Projekt “Gutenberg in WordPress” ist zu Beginn mit dem Einsatz des Editors auf den “Neu erstellen” und “Bearbeiten”-Seiten für Beiträge und Seiten gestartet. Der Editor zeichnet sich dadurch aus, dass alle Elemente als Blöcke frei platziert und gestaltet werden können. Im Laufe der Zeit sind immer mehr Elemente hinzugekommen und auch die Möglichkeiten der Gestaltung sind erweitert worden.

 

 

Text-Blöcke im Gutenberg-Editor.

Die Blöcke lassen sich in fünf Gruppen aufteilen: 

  1. Text
  2. Medien
  3. Design
  4. Widgets
  5. Einbettungen

Zu den Grundelementen bzw. den grundlegenden Blöcken aus den Bereichen Text und Medien gehören dabei unter anderem Überschriften, Textabsätze und Bilder. 

Gutenberg bietet aber auch Design-Blöcke, um Beiträge bzw. Seiten zu gestalten wie zum Beispiel Abstandshalter oder Spalten. Zusätzlich dazu gibt es noch Widget-Blöcke, mit denen man automatisiert Inhalte einbinden kann. Dazu zählen beispielsweise die neuesten Kommentare, verschiedene Archive oder RSS Feeds. Die letzte Gruppe bilden Einbettungen, um Inhalte fremder Websites oder -dienste im eigenen Inhalt einzubetten.

Sowohl die Text- wie auch die Medien-Blöcke bieten den Nutzer*innen vielfältige Design-Möglichkeiten, die die Möglichkeiten des alten TinyMCE deutlich übersteigen.

Eine andere besondere Neuerung sind dabei die Widget-Blöcke. Diese Inhalte gab es bis dato bei WordPress standardmäßig nur für die Widgetbereiche (Sidebar, Footer etc.). Mit Gutenberg ist jetzt auch möglich, solche Elemente im Inhalt zu platzieren.

Somit bietet WordPress seinen Nutzer*innen mittlerweile einen Page-Builder für den Inhaltsbereich, den man frei mit verschiedenen Elementen und Blöcken gestalten kann. Konkret bedeutet dies, dass die Trennung von Design und Inhalt verschwimmt. Der Leitsatz, der bis vor kurzem im Web noch galt, diese Elemente nicht zu vermischen, scheint für WordPress nicht mehr zu gelten. Er wurde aufgegeben. Diese Entwicklung ist grundsätzlich im Web zu beobachten und hängt eng mit der Entwicklung der Page-Builder, also Baukasten-Websites zusammen. 

Das Ziel von Gutenberg soll sein, dass die komplette Website, also auch der Header und Footer sowie Sidebarbereiche, mit der Hilfe des Gutenberg-Editors gestaltet werden können. Die Entwicklung hin zu diesem “Full-Site-Editing” ist bis jetzt allerdings nur zu erahnen. 

Die Entwicklung hat sich bisher schwieriger gestaltet als man sich das vor zwei Jahren vorgestellt hatte. Viele Features wurden erst einmal auf Eis gelegt oder verschoben. Dazu zählen unter anderem die Möglichkeit, den Widgetbereich sowie das Menü mithilfe von Gutenberg zu gestalten. Wer die aktuelle Entwicklung ein wenig im Voraus kennenlernen möchte, kann sich dazu das offizielle Gutenberg-Plugin installieren. Hierdurch erhält man schon Features, die erst in zukünftigen WordPress-Versionen Teil des Core-Programms sein werden.

Die Bewertung des Plugins auf der offiziellen Seite lässt erahnen, dass Gutenberg auch heute noch äußerst kritisch gesehen wird.

Kritik an Gutenberg

Wer Gutenberg und seine Entwicklung kritisiert, der riskiert leider recht häufig als Fortschrittsverweigerer oder Ähnliches klassifiziert zu werden. Wie in anderen Bereichen des Webs ist es leider auch in der WordPress-Welt nicht möglich, ohne Grabenkämpfe auszukommen. Es mag in der Tat unter Gutenberg-Skeptikern auch welche geben, die mit jeglicher Neuerung nicht gut zurechtkommen oder nicht zurechtkommen wollen, aber diese Gruppe dürfte die absolute Minderheit darstellen.

 

Screenshot von dem Bewertungsstatus des Gutenberg-Plugins.

 

Wer einen Blick auf die Bewertungen des Gutenberg-Plugins wirft, wird sehr schnell feststellen, dass sich der Unmut vieler WordPress-Nutzer*innen in den schlechten Bewertungen wiederfindet. Da die Nutzer*innen keine direkten Möglichkeiten haben, sich über die Entwicklung von WordPress selber zu beschweren, entlädt sich wohl viel Kritik hier beim Plugin. Ernst nehmen sollte man sie trotzdem. 

Natürlich können wir gerne diskutieren, ob so eine Gesamtbewertung wirklich gerechtfertigt sei, aber wir alle können uns darauf einigen, dass Gutenberg in großen Teilen der WordPress-Community sehr umstritten ist.

Wo liegen die Probleme?

WordPress ist ein etabliertes und in der Praxis erprobtes System, welches seit Mitte 2003 existiert. Dementsprechend gibt es viele Menschen, Organisationen und Firmen, die das CMS seit vielen Jahren erfolgreich nutzen und ihre eigenen Arbeitsabläufe eingerichtet haben. Dass sich hierbei die Freude auf einen Umstieg in Grenzen hält, ist nicht verwunderlich. Daher ist es auch nicht überraschend, dass sich die beiden Plugins Classic Editor und Disable Gutenberg großer Beliebtheit erfreuen.

Das erste Plugin ist auf mindestens fünf Millionen WP-Installationen aktiv und reaktiviert den klassischen Editor, sodass die Möglichkeit besteht, sowohl mit Gutenberg als auch mit der klassischen Oberfläche zu arbeiten. Disable Gutenberg ist auf mindestens 600.000 WP-Installationen aktiv und deaktiviert Gutenberg nahezu komplett.

Allerdings gibt es auch jenseits des Arguments "wir haben etwas Etabliertes, wir brauchen nichts Neues" einige Aspekte, die vielen Nutzer*innen nicht zusagen. In der täglichen Arbeit manifestieren sich immer noch einige Unzulänglichkeiten von Gutenberg. Speziell bei längeren Texten fallen die vermeintlich kleinen Nachteile schnell auf. Ab einer gewissen Länge des Textes macht sich bemerkbar, dass Gutenberg doch um einiges leistungshungriger ist als der alte TinyMCE Editor. 

Das macht sich entweder mit einem lauteren Lüfter am Laptop oder bei passiv gekühlten Systemen in einer Verringerung der Systemleistung bemerkbar.

Die Tatsache, dass Gutenberg den Text, oder besser gesagt, den Inhalt eines Blogartikels oder einer Seite in einzelne unabhängige Blöcke separiert, widerspricht dem Empfinden vieler Autor*innen, die den Inhalt des Artikels als eine Einheit empfinden. 

Aber jenseits dieser Empfindung entstehen dadurch auch handfeste Nachteile, zum Beispiel bei der Arbeit mit Rechtschreibtools.

Wir nutzen sehr gerne das browserbasierte Rechtschreib- und Grammatik-Tool von LanguageTool. Dieses Werkzeug prüft die Inhalte von Textboxen auf korrekte Rechtschreibung und Grammatik. 

Der komplette Inhalt eines Blogartikels oder einer Seite war bei dem alten Editor in einer einzigen Textbox, bei Gutenberg dagegen ist jeder einzelne Block eine unabhängige Textbox. Das heißt, dass für die Textprüfung jede Box einzeln angesteuert werden muss. Das dürfte auch bei anderen Tools, die Textboxen ansteuern, nicht anders sein.

Nach unserer Einschätzung ist die Anforderung an die Personen, die in unregelmäßigen Zeitabständen die Inhalte der Website pflegen müssen oder sollen, gestiegen. Der alte, oder besser gesagt, der klassische Editor hat in seinem Aufbau an die Erscheinung erinnert, die viele Nutzer*innen von Textverarbeitungen wie Word oder LibreOffice kannten.

Die Textansicht des alten Editors erinnert an viele Kontaktformulare oder die Editoren, wie viele Leute sie auch aus den Foren kennen. Also etwas, was den Nutzer*innen recht häufig im Web begegnet.

Damit war die Einstiegshürde im Fall des alten Editors für unbedarfte Nutzer*innen vergleichsweise gering.

Der neue Editor schaut nicht nur anders aus, sondern ist schon jetzt leistungsfähiger. Eine höhere Leistungsfähigkeit geht allerdings logischerweise immer auch mit einem Mehr an Funktionen daher, in die sich neue Nutzer*innen noch einarbeiten müssen. Darum ist die Hürde für Menschen, die "schnell mal etwas einfügen wollen", merklich gestiegen.

Die gestiegene Hürde ist nicht nur an sich ein Problem, sondern führt zu einer weiteren problematischen Einschätzung unsererseits. 

Der kometenhafte Aufstieg von WordPress war unter anderem der Tatsache geschuldet, dass die Installation, die Einrichtung, der Betrieb, aber auch die Erstellung neuer Inhalte vergleichsweise einfach waren.

Diese Einfachheit – im besten Sinne des Wortes – hat nicht nur zur Popularität von WordPress geführt, sondern hat auch das Bloggen aus dem absoluten Nischendasein befreit und somit maßgeblich zu der Vielfalt und zu der Demokratisierung des Publizierens im Web beigetragen.

Natürlich ist WordPress nach wie vor zurecht das mit Abstand populärste CMS. Aber wer lange genug im Web unterwegs ist, wird mindestens eine Handvoll Beispiele von ehemals sehr populären Projekten kennen, die mittlerweile in der Versenkung verschwunden sind.

Fazit nach zwei Jahren WordPress Gutenberg

Ziemlich genau zwei Jahre nach der Veröffentlichung des WordPress Gutenberg Editors kann man sagen, dass sich die Aufregung zwar gelegt hat, aber die Kritik an Gutenberg geblieben ist. Auch die Tatsache, dass die Entwicklung langsamer als geplant vorangeht und die Befürworter von Gutenberg schon deutlich früher mit einem Full-Site-Editor gerechnet haben, hat den anfänglichen Enthusiasmus über WordPress mit den Möglichkeiten eines Page-Builders einen deutlichen Dämpfer verpasst.

Eines kann man aber gewiss sagen, die Entwicklung von WordPress bleibt spannend! WordPress wird sich zu einem Full-Site-Editing-CMS entwickeln und dadurch neue Zielgruppen ansprechen. WordPress wird eine ernste Konkurrenz zu allen bisherigen Page-Buildern, die dann nicht mehr ergänzend als Plugin installiert werden müssen. 

Aber auch der Plugin-Markt selber wird sich deutlich verändern und erweitern. Schon jetzt können Blöcke wie Plugins installiert werden, um die Möglichkeiten der Gestaltung und Einbindung von Inhalten zu erweitern. Auch Theme-Entwickler*innen werden hier sicherlich Vorlagen entwickeln, die dann via Plugin eine Standard-WP-Installation ergänzen und den Nutzer*innen so mehr Möglichkeiten in der Gestaltung ihrer Website bieten.

 

Mehr Experten-Tipps zur Arbeit mit dem WordPress Gutenberg Editor finden Sie hier: Das E-Book Der Block-Editor und die Zukunft von WordPress zum kostenlosen Download

 

Titelmotiv: Bild von Kevin Phillips auf Pixabay 

Der Autor:


Thordis Bonfranchi-Simović und Vladimir Simović

Thordis Bonfranchi-Simović arbeitet seit Januar 2004 mit WordPress.
Vladimir Simović arbeitet seit 2000 mit HTML und CSS und seit Januar 2004 mit WordPress. Im Laufe der Jahre hat er diverse Fachbücher und Fachartikel publiziert. 
Die Eheleute sind Gesellschafter der Webagentur perun.net webwork gmbh, die umfangreiche Dienstleistungen rund um WordPress anbietet.